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Hepatitis D wird endlich behandelbar
Forschende der Universität Heidelberg und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung haben das erste Medikament gegen Hepatitis D entwickelt, den Virusblocker Hepcludex. Er wurde zur Behandlung dieser schwersten Form der Virushepatitis zugelassen.
Bisher konnten Hepatitis-D-Patientinnen und -Patienten nur im sogenannten Off-Label-Gebrauch mit Interferon alpha behandelt werden – außerhalb der eigentlichen Zulassung dieses Medikaments. Die Infektionskrankheit Hepatitis D gilt als besonders aggressiv, sie kann schnell zu einer Leberzirrhose oder zu Leberkrebs führen. Eine Lebertransplantation war deshalb bislang oft die einzige Überlebenschance für Hepatitis-D-Patienten.
Ende Juli 2020 wurde nun Hepcludex (Bulevirtide) in Europa zugelassen; zunächst zur Behandlung einer chronischen Infektion mit dem RNA-Virus Hepatitis D (HDV). Klinische Studien haben gezeigt, dass der Wirkstoff gut verträglich ist, sehr effektiv die Vermehrung von Hepatitis-D-Viren hemmt und zu einer deutlichen Verbesserung der Leberfunktion führt.
Ohne Hepatitis B keine Hepatitis D
Eine Hepatitis-D-Infektion kommt nur als Co-Infektion mit einer Hepatitis-B-Infektion vor und beschleunigt den Krankheitsverlauf. Bis dato sind weder Hepatitis B noch D heilbar. Um vor einer Infektion mit beiden Viren zu schützen, gibt es zwar seit den 1980er-Jahren eine vorbeugende Impfung; bereits Infizierten hilft diese aber nicht mehr.
Sowohl HDV als auch HBV sind umhüllte Viren. „Um sich vermehren zu können, stiehlt das Hepatitis-D-Virus in der Leberzelle die Hüllproteine eines B-Virus“, erklärt Professor Dr. Stephan Urban, Professor für Translationale Virologie am Standort des Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) am Universitätsklinikum Heidelberg. Mittels dieser Hülle dringen die Viren in die Leberzellen ein – und zwar über den Gallensalztransporter NTCP. Dieser Rezeptor ist die Andockstelle für die Viren, um in der Leberzelle ihr Erbgut vervielfältigen zu können. Und genau hier setzt Hepcludex an: Das Medikament blockiert diesen Andockpunkt, und zwar durch eine Art „molekulares Mimikry“. Der Rezeptor ist nun belegt, die Viren haben somit keine Chance mehr, in die Zelle zu gelangen. Hepcludex ist das erste Medikament der sogenannten Entry-Inhibitoren für Hepatitis D, also ein Medikament, das den Eintritt des Virus in die Leberzelle verhindert.
Die Substanz hilft auch bei Patientinnen und Patienten, die schon mit Hepatitis D infiziert sind. „Denn das Virus muss, um langfristig überleben zu können, immer neue Leberzellen befallen, weil die erkrankten absterben oder vom Immunsystem eliminiert werden“, erklärt Urban. Bei Hepatitis-D-Patienten bilden sich Leberzellen sehr rasch. Hepcludex schützt die neu gebildeten Zellen vor einer Infektion, während die infizierten Zellen nach und nach vom Immunsystem vernichtet werden.
Hepatitis D – eine tückische Infektionskrankheit
Hepatitis D ist eine Leberentzündung, die durch das Hepatitis-D-Virus (HDV) ausgelöst wird und sich anfangs durch Symptome äußert, die nicht eindeutig auf die Krankheit hinweisen: Die Patientinnen und Patienten fühlen sich krank, haben keinen Appetit und verspüren einen Druck im Oberbauch. Erst nach einiger Zeit kommt es zur typischen Gelbsucht, die Leber erleidet nach und nach schwere Schäden, sogar Leberkrebs kann sich entwickeln.
Rund 25 Millionen Menschen sind weltweit mit HDV infiziert – Hotspots sind die Mongolei, Pakistan, Russland, der Balkan, Brasilien, Süditalien, Zentralafrika und der Vordere Orient; in Deutschland kommt Hepatitis D deutlich seltener vor. Nach Schätzungen sind etwa 6.000 Menschen betroffen, im Jahr 2018 wurden laut Robert Koch-Institut 59 neue Hepatitis-D-Virus-Infektionen gemeldet. Grund hierfür ist, dass zu wenige Patientinnen und Patienten auf Hepatitis D getestet werden.
Häufig wird das Virus beim Geschlechtsverkehr oder durch verunreinigte Spritzenbestecke bei Drogenkonsum übertragen. In seltenen Fällen erfolgt die Ansteckung auch über Blutkonserven oder während der Geburt von der Mutter auf das Kind.
Zweieinhalb Jahrzehnte Forschungsarbeit
Auf insgesamt 25 Jahre intensiver Arbeit kann das Team um Stephan Urban – darunter DZIF-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler vom Universitätsklinikum und von der Medizinischen Fakultät Heidelberg – bei der Entwicklung des nun für die Behandlung von Hepatitis D zugelassenen Medikaments zurückblicken. Dabei hatte Urban als Grundlagenforscher ursprünglich „nur“ das Hepatitis-B-Virus im Fokus: Es war stark verbreitet und hatte das Interesse vieler Forscherinnen und Forscher weltweit auf sich gezogen. Urban wollte wissen, wie HBV gezielt und ausschließlich in die Leberzellen gelangt. Er fand heraus, dass das Protein aus der Virushülle an den besagten NTCP-Rezeptor der Leberzelle bindet und dass dies der erste Schritt einer Infektion ist. Es gelang ihm, Teile des Hüllproteins als Peptid im Labor herzustellen und auf gesunde Leberzellen zu geben: Das Protein blockierte den Rezeptor, der Viruseintritt wurde verhindert. Alle diese präklinischen Untersuchungen erfolgten zunächst an tierischen Modellorganismen, in diesem Fall von Pekingenten. Wurde den Enten das Peptid injiziert, bevor sie künstlich infiziert wurden, waren sie vor der Infektion geschützt.
Ob sich die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen ließen, musste noch erprobt werden, denn HB-Viren infizieren immer nur einen spezifischen Wirt: Was für Pekingenten galt, musste nicht unbedingt für Menschen genauso gelten.
Der neue Wirkstoff ist sehr effektiv
Urban stellte also die passenden Peptidstücke des menschlichen HB-Virus her und wiederholte die gleichen Experimente, zusammen mit seinem französischen Kollegen bei INSERM (Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale, Paris), an gesunden menschlichen Leberzellen. Diese Untersuchungen glückten, auch menschliche Zellen konnten effizient vor einer Infektion geschützt werden – und zwar bereits bei sehr niedrigen Konzentrationen des Peptids. Weil HB- und HD-Viren das gleiche Hüllprotein tragen, war so zugleich auch ein Wirkstoff gegen Hepatitis D entstanden.
Bereits in der präklinischen Phase sicherte sich das Biotech-Start-up-Unternehmen MYR Pharmaceuticals die exklusiven Lizenzrechte für Hepcludex und übernahm die Weiterentwicklung bis zur Zulassung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte die präklinische Entwicklung mit 2,4 Millionen Euro. Das DZIF erkannte früh das Potenzial des Projekts, den Wirkstoffkandidaten bis zum Einsatz als Medikament weiterentwickeln zu können. Bereits 2012 beteiligte es sich an den präklinischen Untersuchungen. 2014 wurde eine DZIF-Professur für Translationale Virologie eingerichtet, deren Ruf Stephan Urban folgte. Im Dezember 2020 akquirierte der amerikanische Pharmakonzern Gilead die MYR GmbH für insgesamt 1,45 Milliarden Euro – ein Beleg dafür, welches Potenzial in dem im DZIF mitentwickelten Hepatitis-D-Medikament steckt.
Zitiert nach einer Newslettermeldung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 22.03.2021