Missbrauch und Abhängigkeit von Medikamenten

Jährlich werden in Deutschland rund 1,3 Milliarden Arzneimittelpackungen verkauft, von denen etwa 45 Prozent nicht rezeptpflichtig sind. Vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel besitzen ein Missbrauchs- und bzw. oder Abhängigkeitspotenzial, darunter vor allem die verschreibungspflichtigen Schlaf- und Beruhigungsmittel.

Verbreitung und Risikofaktoren der Medikamentenabhängigkeit

Bei schätzungsweise 2,9 Millionen Menschen in Deutschland liegt ein problematischer Medikamentenkonsum vor. Zwischen 1,4 und 1,9 Millionen Menschen sind abhängig von Medikamenten. Frauen sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Besonders gefährdet eine Abhängigkeit von Medikamenten zu entwickeln, sind Menschen ohne greifbares Krankheitsbild und mit vielfältigen Beschwerden. Dazu gehören beispielsweise Überforderungs- oder Überlastungsgefühle, Schwindel, Herzrasen, Magen-Darm-Probleme oder Schlafstörungen äußern.

Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit erkennen

Häufig werden der Missbrauch oder die Abhängigkeit von Medikamenten von den Betroffenen nicht als solche wahrgenommen. Gründe dafür sind unter anderem,

  • dass Medikamente mit Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitspotenzial unter die Verschreibungspflicht fallen. Betroffene Personen sehen die Einnahme ihrer Medikamente als begründet an, da sie ärztlich verordnet sind.
  • dass viele Medikamente über das Internet oder Apotheken auch ohne ärztliches Rezept erhältlich sind und somit unkontrolliert eingenommen werden. Gerade Medikamente, wie Nasentropfen und -sprays, Abführmittel oder Schmerzmittel, die keine körperlichen Entzugserscheinungen auslösen, haben ein hohes Risiko, nicht bestimmungsgemäß angewendet zu werden.

Achten Sie deshalb auf Hinweise in der Gebrauchsinformation der Medikamente und wenden Sie sich bei Fragen an Ihre Ärztin oder Ihren Arzt bzw. Ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker.

Unterscheidung von Missbrauch und Abhängigkeit

Bei einem nicht-bestimmungsgemäßen Gebrauch werden Medikamente zum “Spaß” (hedonistischer Konsum) eingenommen, ohne dass Hinweise auf einen Missbrauch oder eine Abhängigkeit bestehen. Doch auch bei einem hedonistischen Konsum können bereits unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auftreten.

Ein Missbrauch von Medikamenten liegt vor, wenn während der letzten zwölf Monate mindestens eines der folgenden Anzeichen vorhanden war:

  1. Wiederholter Substanzgebrauch, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt (z. B. wiederholtes Fernbleiben von der Arbeit und schlechte Arbeitsleistungen in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch, Schulschwänzen, Einstellung des Schulbesuchs oder Ausschluss von der Schule in Zusammenhang mit Substanz­gebrauch, Vernachlässigung von Kindern und Haushalt).
  2. Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann (z. B. Alkohol am Steuer oder das Bedienen von Maschinen unter Substanzeinfluss).
  3. Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch (z. B. Verhaftungen aufgrund ungebührlichen Betragens in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch).
  4. Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Auswirkungen der psychotropen Substanzen verursacht oder verstärkt werden (z. B. Streit mit der Partnerin / dem Partner über die Folgen der Einnahme, körperliche Auseinandersetzungen).

Eine Abhängigkeit liegt vor, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien vorhanden waren:

  1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
  2. Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums.
  3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahen verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
  4. Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich (…).
  5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
  6. Anhaltender Substanzgebrauch trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen wie z. B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Substanzkonsums oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen. Es sollte dabei festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im Klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist.

Der Abhängigkeit geht in der Regel ein Missbrauch voraus, wohingegen ein Missbrauch nicht zwangsläufig in eine Abhängigkeit mündet.

Medikamente mit Risiko

Sowohl verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Rahmen der Selbstmedikation können ein mehr oder weniger ausgeprägtes Missbrauchspotenzial aufweisen. Bei manchen apothekenpflichtigen Medikamenten ist ebenfalls Vorsicht geboten. Sie machen zwar nicht abhängig, können bei Missbrauch aber zu gesundheitlichen Problemen führen.

Opioide Schmerzmittel

  • wie beispielsweise Morphin, Codein, Hydromorphon, Oxycodon, Tilidin lindern Schmerzen, indem sie die Wirkung von Endorphinen (das sind vom Körper selbst produzierte Morphine) nachahmen. Die Weiterleitung des Schmerzes ins Gehirn wird verhindert und die Schmerzempfindung gedämpft.
  • Mögliches Anwendungsgebiet:starke Schmerzen, die nur mit Opioid-Analgetika behandelt werden können (z.B. Tumorschmerzen)
  • Auswirkungen einer Abhängigkeit: labile Stimmungslage, Schlaflosigkeit, Abmagerung, Impotenz, Koordinations-störungen, Unruhe, Depressionen, Angstzustände, Herz- Kreislauf-Probleme, Magen-Darm-Beschwerden, Muskelkrämpfe

Benzodiazepine und Z-Drugs (Beruhigungs- und Schlafmittel)

  • wie beispielweise Diazepam, Oxazepam, Flurazepam, Triazolam, Zopiclon und Zolpidem verstärken die Wirkung eines körpereigenen Botenstoffes im zentralen Nervensystem und haben so einen angstlösenden, muskelentspannenden, krampflösenden, beruhigenden und schlafanstoßenden Effekt.
  • Mögliches Anwendungsgebiet:Spannungs-, Erregungs- und Angstzustände, zur kurzzeitigen Behandlung von Schlafstörungen
  • Auswirkungen einer Abhängigkeit: ohne Medikament treten alle Symptome wieder auf, weswegen es eingenommen worden ist, teilweise sogar verstärkt: Angst, Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen

Psychostimulanzien(Aufputschmittel)

  • wie beispielsweise Methylphenidat, Atomoxetin, Dexamfetamin, Lisdexamfetamin sollen die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit erhöhen, indem sie u.a. im Gehirn den Anstieg des Hormons Noradrenalin und der Nervenbotenstoffe Dopamin und Serotonin bewirken.
  • Mögliches Anwendungsgebiet:zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Auswirkungen einer Abhängigkeit: Erschlaffungsgefühle, Katerstimmung, vermehrte Reizbarkeit und Aggressivität, depressive und ängstliche Syndrome

Appetitzügler

  • Mögliches Anwendungsgebiet:zur Gewichtsreduktion von Erwachsenen mit ausgeprägtem Übergewicht (BMI mindestens 30)
  • Auswirkungen einer Abhängigkeit: Erschöpfungszustände, depressive Erscheinungen, Schlafstörungen

Abführmittel

  • wie beispielsweise Bisacodyl, Glycerol, Glaubersalz
  • Mögliches Anwendungsgebiet: kurzfristige Anwendung bei Verstopfung und bei Erkrankungen, die eine erleichterte Darmentleerung erfordern
  • Auswirkungen eines Missbrauchs: Verstärkung der Darmträgheit, Mineralstoffverlust (insbesondere Kalium) mit daraus resultierenden Herzrhythmusstörungen und Muskelschwäche, krampfartige Magen-Darm-Beschwerden sowie Darmreizungen

Schmerzmittel

  • wie beispielsweise Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen, Paracetamol, Naproxen
  • Mögliches Anwendungsgebiet: leichte bis mäßig starke Schmerzen wie Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Regel, Gelenkschmerzen, sowie Fieber
  • Auswirkungen eines Missbrauchs: „Analgetika-Kopfschmerz“ (Medikamenten-bedingter Dauerkopfschmerz), gesteigertes Blutungsrisiko, Magen-Darm-Beschwerden bis hin zu Geschwüren, schwere Leberschäden, Schädigung der ableitenden Harnwege und der Niere

Nasentropfen und -sprays

  • mit Wirkstoffen wie beispielsweise Xylometazolin, Oxymetazolin
  • Mögliches Anwendungsgebiet: Kurzzeittherapie bei Schnupfen, anfallsweise auftretendem Fließschnupfen oder allergischem Schnupfen
  • Auswirkungen eines Missbrauchs: Medikamentenbedingter „Schnupfen“, Austrocknen der Nasenschleimhaut

Medikamentenabhängigkeit vermeiden

Um einem Missbrauch oder einer Abhängigkeit vorzubeugen, braucht es einen sorgfältigen Umgang mit entsprechenden Medikamenten. Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, Sie über mögliche Risiken verständlich aufzuklären. Zudem sollte sich Ihre Ärztin oder Ihr Arzt immer wieder bei Ihnen vergewissern, welche Medikamente Sie zusätzlich einnehmen. Dadurch kann verhindert werden, dass Sie mehrere Medikamente mit Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial von unterschiedlichen Ärztinnen oder Ärzten erhalten. Personen mit einer Abhängigkeit in der Vorgeschichte sollten besonders vorsichtig sein.

Zur Prävention gehört aber auch, dass nicht jedes Problem medikamentös behandelt werden sollte. Wenn Sie bei Medikamenten unsicher sind, zögern Sie nicht, bei Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt nachzufragen. Sie können auch eine Vertrauensperson bitten, bei dem Gespräch anwesend zu sein.

Bei Medikamenten wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel, hilft Ihnen die sogenannte 4-K-Regel eine Abhängigkeit zu vermeiden:

  • Klare Indikation: Nehmen Sie das Medikament nur ein, wenn es einen klaren medizinischen Grund gibt. Besprechen Sie diesen und mögliche Alternativen mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Lassen Sie sich über mögliche Risiken aufklären.
  • Korrekte Dosis: Nehmen Sie nur ein, was unbedingt notwendig ist. Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt über kleinste mögliche Dosierung.
  • Kurze Anwendung: Betrachten Sie das Medikament als Überbrückung und nehmen sie es nur so kurz wie möglich ein. Bereits nach 3 bis 4 Wochen kann sich eine Abhängigkeit einstellen. Vereinbaren Sie einen kurzfristigen Nachfolgetermin bei Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt.
  • Kein abruptes Absetzen: Beenden Sie die Einnahme des Medikamentes nicht schlagartig, sondern sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt über eine langsame Verringerung der Dosis.

ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (2024). Faktenblatt Arzneimittelmissbrauch. https://www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Faktenblaetter/Faktenblatt_Arzneimittelmissbrauch.pdf; letzter Zugriff: 07.10.2024

Aktories, K., Förstermann, U., Hofmann, F. B. & Starke, K. (2004). Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie: Begründet von W. Forth, D. Henschler, W. Rummel (9. Aufl.). Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH. 

Bundesärztekammer (Hrg.) (2007). Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit. Leitfaden für die ärztliche Praxis.  

DHS - Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (2024). Jahrbuch Sucht 2024. Pabst Science Publishers. https://www.dhs.de/unsere-arbeit/dhs-jahrbuch-sucht; letzter Zugriff: 07.10.2024

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Letzte Aktualisierung: Mai 2023